Nachtstudio: "We've got a file on you" Privatheit im digitalen Zeitalter

17. Juni 2015
Thomas Kretschmer wurde von der Hochschule der Medien Stuttgart geehrt. Gemeinsam mit Kretschmer behandelten die Wissenschaftsethikerin sowie Mitglied des Forums Privatheit Jessica Heesen und die Politikwissenschaftlerin Julia Schramm das schwierige Thema der Privatheit im Internetzeitalter.

"We've got a file on you"
Privatheit im digitalen Zeitalter

"We've got a file on you" sang die britische Band Blur 2003. Damals noch Zukunftsmusik, heute längst Realität. Denn Konzerne, Behörden und Geheimdienste können praktisch alles erfahren über uns. Wo bleibt da die Privatheit?

Es scheint nicht gut zu stehen um informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre. Bedrängt werden sie aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Da ist der Staat mit seinen Institutionen, die die Bürger zu ihrem eigenen Schutz überwachen, so lautet zumindest immer die offizielle Begründung. Charakterisiert durch Stichworte wie Datenspeicherung auf Vorrat, Videoüberwachung, die neue Gesundheitskarte oder den biometrischen Personalausweis. Nicht zu vergessen: Die NSA und andere in- und ausländische Geheimdienste.

Private Daten als Zahlungsmittel?

Da sind außerdem wir selbst, als Nutzer des Internets und der sozialen Medien. Da sind die Internetkonzerne, die sich wie kleine Kinder freuen, über die Spuren und Daten, die wir beim Nutzen ihrer Angebote hinterlassen. Da sind aber auch ganz altmodische Konzerne wie Versicherungen und Kaufhausketten, die Daten mit Rabatten und Preisnachlässen bezahlen. Nur ein Beispiel: Seit Beginn des Jahres sind schon Millionen Fotos in soziale Netzwerke geladen worden und Millionen Nachrichten über unsichere Messengerdienste um die Welt gegangen. Wie steht es also heute um unsere Privatsphäre und Privatheit? Wie ist es zu der skizzierten Entwicklung gekommen? Und was wird in Zukunft aus dem Konzept Privatheit? Darüber disktutierte Thomas Kretschmer im Nachtstudio mit zwei Expertinnen für Datenschutz, Privatheit und informationelle Selbstbestimmung.

Es diskutierten: Julia Schramm und Jessica Heesen

Jessica Heesen ist Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe Medienethik am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen und außerdem Mitglied des Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Öffentlichkeit. In diesem Netzwerk tauschen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungseinrichtungen aus über den Stand der Privatheit heute.

Julia Schramm ist Politikwissenschaftlerin und Autorin. Von 2009 bis 2014 war sie Mitglied der Piratenpartei und hat dort zeitweise auch dem Bundesvorstand angehört. Derzeit schreibt sie in Berlin an ihrer Dissertation zum Thema "Privatheit als politische Idee".


Medienethik-Preis an BR Nachtstudio-Moderator Thomas Kretschmer für die Leitung der Diskussionsrunde "We've got a file on you - Privatheit im digitalen Zeitalter" verliehen

So war es kein Beitrag oder ein Feature, das der Jury des Medienethik-Awards der Hochschule der Medien Stuttgart besonders auffiel: sie hat Thomas Kretschmer den „META 2014/15“ in der Kategorie Radio verliehen, explizit für die Leitung der Nachtstudio-Diskussionsrunde „We've got a file on you. Privatheit im digitalen Zeitalter“, die am 3. Februar auf Bayern 2 gesendet wurde. Gemeinsam mit Kretschmer behandelten die Wissenschaftsethikerin Jessica Heesen und die Politikwissenschaftlerin Julia Schramm das schwierige Thema der Privatheit im Internetzeitalter. Ein Themenkomplex, der, wenn wir den Umfragen Glauben schenken, die Menschen kaum interessiert. In dieser Diskussion aber sei es mustergültig gelungen, den Sachverhalt packend zu behandeln, wie die Jury befand:

"Die inhaltliche Reise ist lang. Dass ein Diskurs auf dieser Ebene überhaupt möglich war, verdankt der Beitrag der Ansicht der Jury nach vor allem der exzellenten Vorbereitung durch den Moderator Thomas Kretschmer. Hierzu zählt auch die Auswahl der beiden Gäste. Das Gespräch bewegt sich permanent auf dem schmalen Grat zwischen Streitgespräch und vereinigendem Appell an die Zivilgesellschaft. Thomas Kretschmer versteht es dabei virtuos, die sich in die höheren Sphären der Philosophie windenden Gedankengänge wieder einzufangen und auf den Boden zu bringen. Die Aufklärung durch den Beitrag ist enorm." (Jury der Hochschule der Medien, Stuttgart)

Die Diskussion räumte mit dem bequemen Glauben auf, Transparenz löse alle Probleme der Politik (schon heute hat Bundeskanzlerin Merkel ihren Terminkalender online gestellt, aber deswegen sinkt die Politik-verdrossenheit nicht, wie Studien belegen). Privatheit muss man sich leisten können, denn Hartz IV Empfänger etwa haben ihr komplettes Leben vor dem Staat offenzulegen.


Das Nachtstudio wiederholt die Diskussion am 1.9.2015 um 20.03 Uhr auf Bayern 2.

Thomas „Tom“ Kretschmer arbeitet seit 1999 für den Bayerischen Rundfunk, darunter für den Zündfunk, das Hörspiel und das Nachtstudio. Er war Volontär und ARD-Pool-Reporter bei der Frankfurter Buchmesse und hat als Autor diverse Stundensendungen geschrieben.


Zum Beitrag auf BR.de:

"Die Aufklärung durch den Beitrag ist enorm!"

Zur Pressemitteilung der HDM:

Auszeichnung für Journalisten von Süddeutsche Zeitung und Bayern 2 Nachtstudio



Ansprechpartner/inne/n:

Jessica Heesen ist Leiterin der Nachwuchsgruppe Medienethik am  Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen.

Im Rahmen des Projekts Forum Privatheit leitet Frau Heesen zusammen mit Frau Ammicht Quinn das Teilvorhaben “Dialektik von Privatheit und Öffentlichkeit” und ist Projektpartnerin im Explorationsprojekt “Privacy-Arena”.