Jahreskonferenz 2018

Zukunft der Datenökonomie – Gestaltungsperspektiven zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz

11. und 12. Oktober 2018

Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche und führt zu einem tiefgreifenden Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Permanent erzeugen Verbraucher*innen in den hochgradig vernetzten Infrastrukturen des alltäglichen Lebens Daten, und ein Ende der datengetriebenen Dynamiken scheint kaum absehbar. Von der Selbst-Konstitution („Quantified Self“) über die Gruppenbildung (Soziale Netzwerke) und Partnerwahl (Datingplattformen) bis zu Wissensgenerierung (Computational Social Science) und Arbeitswelt (Industrie 4.0) werden immer mehr, z.T. grundlegende soziale Vorgänge unter Rückgriff auf Techniken der digitalen Datenverarbeitung (Senden, Sammeln, Aufbereiten, Auswerten) gestaltet. Gleichzeitig werden diese Datenverarbeitungsprozesse von Unternehmen zur Verfügung gestellt und institutionalisiert, die vor allem an der profitorientierten Verwertung der zum Teil systematisch erzeugten, zum Teil „nebenbei“ anfallenden sozialen Daten interessiert sind. Die digitalen Daten bilden dabei den Stoff, der die wirtschaftlichen und sozialen Vergesellschaftungsformen auf neuartige Weise miteinander verkoppelt. Die daraus resultierenden Ökonomien der Daten bezeichnen deshalb einen grundlegenden Wandel des Verhältnisses zwischen Verbraucher*innen und Unternehmen sowie der Gesellschaft insgesamt.

Die Konferenz „Zukunft der Datenökonomie“ widmet sich der wissenschaftlichen Analyse und politischen Diskussion der in diesem Zuge entstehenden neuartigen Wertschöpfungsprozesse, Tauschlogiken und sozioökonomischen Verhältnisse. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage nach den Konsequenzen der Datenökonomie für Privatheit und Selbstbestimmung. Die Beschäftigung mit diesen Fragen ist von großer Dringlichkeit, handelt es sich doch um eine neuartige Verkopplung von Wirtschaft und Gesellschaft, wenn Aufbau und Aufrechterhaltung von Gesellschaft digital in ökonomische Verwertungszusammenhänge eingerückt werden. Nicht nur neue Geschäftsmodelle und Verbraucherschutzanforderungen entstehen um das Gut sozialer Daten – es entsteht auch die Frage, zu wessen Nutzen diese Daten verwertet werden sollen, etwa im Sinne eines Kollektiv- oder Individualguts. Die Datenökonomie bringt deshalb zahlreiche Gestaltungsherausforderungen mit sich.

Zum einen gelten digitale Daten als wichtige Quelle für wirtschaftliches Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und ökonomischen Innovationen. Durch die Analyse großer Datensätze („Big Data“) können Prozess- und Entscheidungsoptimierung, Innovation und Prognosen vereinfacht werden. Dieser globale Trend birgt enorme Potenziale in den unterschiedlichsten Bereichen, wie z.B. Gesundheit, Umwelt, Klima, Energieeffizienz, intelligente Transport-Systeme und „Smart Cities“. Gleichzeitig werden in diesem Zusammenhang jedoch auch Fragen danach laut, wer die Macht über die Daten haben, wer sie verwerten und davon profitieren soll. Es mehren sich zudem Anzeichen dafür, dass die ökonomischen Prozesse selbst einer tiefgreifenden Transformation unterliegen. So scheinen die Plattformlogiken der Datenökonomie die klassische Wettbewerbslogik und damit ein zentrales Charakteristikum der kapitalistischen Wertschöpfung teilweise außer Kraft zu setzen. Denn inwieweit auf Netzwerkeffekten beruhende Plattformlogiken langfristig Anbieter-Wettbewerb zulassen werden und Voraussage-orientierte Marketingtechniken selbstbestimmte Konsumentenentscheidungen noch ermöglichen, scheint keineswegs ausgemacht.

Zum anderen stellen Plattformen der Datenökonomie zunehmend zentrale Infrastrukturen zur Ausbildung und Aufrechterhaltung des sozialen Lebens bereit, indem Verbraucher-Interaktionen aller Art immer stärker über digitale Netzwerke vermittelt werden – ob Alltagskommunikation, Freundeskreispflege, Einkaufen oder Sport. Dadurch werden die Handlungsoptionen, Interaktionsmöglichkeiten und Vernetzungspotentiale der Verbraucher*innen einerseits fundamental ausgeweitet. Im selben Zuge werden diese sozialen Prozesse aber auch umfassend dokumentiert, analysiert, in datenökonomische Wertschöpfungsprozesse hineingezogen und so unter Gesichtspunkten ökonomischer Verwertbarkeit gestaltet. Im Resultat tendieren immer mehr soziale Prozesse dazu, von vornherein so organsiert zu werden, dass darüber soziale Daten gesammelt und diese analysiert werden können. Unternehmen prägen durch ihre Gestaltungsmacht zunehmend Praktiken, Kommunikationen und Wissensprozesse und übernehmen Aufgaben, die in der Moderne staatlichen und (zivil-)gesellschaftlichen Institutionen zufielen. Welche sozialen und kulturellen Folgen sich daraus ergeben, dass Subjektivierungsprozesse, soziale Wissensgenerierung und Kollektivbildung in die neuartigen Plattformlogiken der Datenökonomien eingebaut werden, ist aktuell kaum absehbar.

Der datenökonomisch induzierte Strukturwandel resultiert somit nicht nur in neuen Geschäftsmodellen und Tauschverhältnissen, sondern auch in zahlreichen Herausforderungen für Privatheit, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung. Doch welche politischen, regulatorischen, rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Folgen ergeben sich hieraus? Wie funktionieren die digitalen Wertschöpfungslogiken und Tauschprozesse eigentlich genau – in sozialer, ökonomischer, technischer und psychologischer Hinsicht? Welche unternehmerischen und volkswirtschaftlichen Chancen bestehen? Welche Wertvorstellungen, Konzepte und Praktiken der Aneignung und des Privateigentums spielen dabei eine Rolle? Könnte sich mit technischen oder politischen Mitteln Transparenz für die Entstehung und Verteilung des Wertes „Daten mit Personenbezug“ herstellen lassen? Und was bedeutet all dies für den Datenschutz und dessen Neuerfindung für die Gegenwart?

Die Konferenz „Zukunft der Datenökonomie“ wird sich interdisziplinär mit den Gestaltungsherausforderungen auseinandersetzen, die die angestoßenen Transformationsprozesse mit sich bringen. Reflektiert wird der soweit umrissene Strukturwandel sowohl in wirtschafts- als auch in gesellschaftswissenschaftlich orientierten Auseinandersetzungen mit der Thematik. Dies betrifft eine Vielzahl von Themenfeldern, von denen hier nur einige exemplarisch genannt sein sollen:

Social Scoring & Predictive Analytics Die datenbasierte Bewertung persönlicher Lebensläufe (Social Scoring) sowie die Vorhersage individuellen Verhaltens (Predictive Analytics, Sentiment Detection) stellen zentrale Versprechen der Datenökonomie dar. Wie (gut) funktionieren aber die zugrundeliegenden Techniken überhaupt? Welche Auswirkungen ergeben sich aus den durch diese Techniken ermöglichten Verhaltensmodifikation auf die modernen Vorstellungen von individueller Konsumentscheidung, Selbstbestimmung, Autonomie und informationeller Privatheit? Welche taktischen Reaktionen bilden Verbraucher*innen aus? Was bedeutet dies für das Verhältnis zwischen Verbraucher*innen und Unternehmen? Und welche politischen und/oder regulatorischen Konsequenzen sind daraus zu ziehen?

Digitales Selbst Die Selbst-Konstitution von Personen findet mittlerweile verstärkt in verdateten, „metrisierten“, oft vermarktlichten, digital-vernetzten Umgebungen statt. Aber wie wirken die auf den sozialen Plattformen allgegenwärtigen Aufrufe zur Äußerung von Personen auf die Selbst-Konstitution zurück? Welche Praktiken der Selbst-Darstellung und Fremdwahrnehmung entstehen? Welche Sozialisationseffekte zeitigt das dauerhafte Agieren in datenintensiven Zusammenhängen? Wie modellieren ökonomisch motivierte Betreiber datenökonomischer Infrastrukturen das personale Selbst? Wie verknüpfen sich ökonomische Interessen und soziokulturelle Mechanismen? Und: wie kann vor dem Hintergrund solch halböffentlicher Selbst-Konstitution Privatheit neu gedacht werden?

Dynamic Pricing Personalisierte Preisgestaltung wirbt mit dem Versprechen, das Umsatzpotential der Unternehmen maximal auszuschöpfen, Kundenbindung zu erhöhen und Verbraucher*innen Vergünstigungen zu verschaffen. Aber wie genau findet die für die meisten Verbraucher*innen im digitalen Bereich praktisch nicht wahrnehmbare Preisfindung überhaupt statt? Welche Folgen ergeben sich aus der zugrundeliegenden, erhöhten Informationsasymmetrie zwischen Verbraucher*innen und Unternehmen? Kann hier noch von individuell-privaten Konsumentscheidungen die Rede sein? Welche Diskriminierungsformen könnten durch dynamische Preiskalkulation entstehen? Wie könnte mehr Preistransparenz geschaffen werden? Und wie ließe sich Datenschutz rechtlich und ethisch verankern?

Plattformen als Infrastrukturen des Sozialen und des Marktes Plattformen sind z.T. global player der Internet-Industrie, betreiben dabei aber soziale Infrastrukturen. Netzwerkeffekte haben in diesem Bereich monopolartige Strukturen erzeugt, in deren Rahmen Unternehmen über soziotechnische „Ökosysteme“ verfügen. Ist unter solchen soziotechnischen Bedingungen das Fortbestehen von konkurrenz-orientierten Märkten überhaupt noch denkbar, und wenn ja: welche Formen weisen solche Märkte dann auf? Wie findet hier Wertschöpfung statt, welche Tauschlogiken bilden sich aus? Wie werden ökonomische mit anderen Werten – z.B. dem der Privatheit – in Beziehung gesetzt oder geraten gegebenenfalls mit diesen in Konflikt? Welche ökonomischen, rechtlichen und politischen Voraussetzungen für das Fortbestehen von Demokratie ergeben sich vor dem Hintergrund des Betreibens sozialer Infrastrukturen durch einige wenige Unternehmen?

Open Data Aufgrund der öffentlichen Bereitstellung von Daten können diese durch jeden beliebigen Informationsnachfrager für jegliche Zwecke genutzt, verarbeitet und verbreitet werden. Aber wie kann das Potential dieser Daten auf der einen Seite ausgeschöpft und auf der anderen Seite gleichzeitig informationelle Privatheit und Datenschutz gewährleisten werden? Wie kann abgesichert werden, dass die Art und Weise der Auswertung dieser Daten ihrem Kollektivgut-Charakter gerecht wird? Wie lassen sich gesellschaftlich legitime Verwertungszwecke vereinbaren, und mit welchen Mechanismen kann das Mitspracherecht der Datenproduzent*innen garantiert werden?

Eigentumsrechte an Daten Immer mehr individuelle, ökonomische und staatliche Akteure erhalten Zugang zu großen „sozialen“ Datensätzen. Da Wissen über das Soziale immer auch Gestaltung des Sozialen bedeutet, stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation und rechtlichen Stellung solcher Wissensproduzenten. Wie lassen sich zukünftig Eigentums- und Verwertungsrechte an den gesammelten persönlichen Daten demokratisch verteilen und regulieren? Welche Eigentumsmodelle sind überhaupt vorstellbar? Inwiefern können diese in der Lage sein, für Privatheitsschutz zu sorgen? Lassen sich Verbraucher*innen überhaupt Eigentumsrechte an Daten zusprechen, und wenn ja: auf welche Weise? Was spricht, aus rechtlicher, politischer, ethischer oder ökonomischer Sicht, für oder gegen solche Eigentumsrechte? Welche Erlösmodelle sind beobacht-, welche Alternativen denkbar?

Dies sind nur einige mögliche Fragen, die im Rahmen der Jahreskonferenz 2018 des vom Bundeministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbundes „Forum Privatheit: Selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt“ adressiert werden sollen. Die Konferenz will im Sinne gelebter Interdisziplinarität Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der verschiedenen Forschungsrichtungen zusammenbringen, um Wissensbestände über das Feld der Datenökonomien systematisch zusammenzuführen und zu diskutieren. Darüber hinaus wird es darum gehen, Problembeschreibungen zu schärfen und Lösungsvorschläge zu den vielfältigen Herausforderungen zu erarbeiten, vor die sich Gesellschaft und Ökonomie im Allgemeinen, und Privatheit und Datenschutz im Besonderen gestellt sehen, ohne dabei die zutage tretenden Gestaltungschancen zu übersehen oder zu vergeben. Die Konferenz fungiert dementsprechend als Schnittstelle zwischen Forschung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und wird am 11. und 12. Oktober 2018 in München stattfinden.

Dieser Call for Papers richtet sich an alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der technischen, sozial- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen, der Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Wirtschafts-, Medien- und Kommunikationswissenschaften. Besonders begrüßt werden fachübergreifende Einreichungen.

Das Forum Privatheit veranstaltet am 11 und 12. Oktober 2018 die interdisziplinäre Konferenz “Zukunft der Datenökonomie – Gestaltungsperspektiven zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz”. Interessierte können von nun an bis zum Ende der Einreichungsfrist am 15. Juni 2018 Beiträge im Rahmen des Call for Papers einreichen. Der CfP richtet sich an alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der technischen, sozial- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen, der Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Wirtschafts-, Medien- und Kommunikationswissenschaften. Besonders begrüßt werden fachübergreifende Einreichungen.


Vorträge

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Programm

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Call for Papers

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