06.10.2016

Dokumentation: Technikgestaltung demokratisieren!? Workshop "Partizipatives Privacy by Design" (Kassel)

Das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel veranstaltete gemeinsam mit dem Forum Privatheit und dem Graduiertenkolleg „Privacy & Trust for Mobile Users" vom 6.-7. Oktober 2016 den Workshop „Partizipatives Privacy by Design“ in Kassel. Der Workshop „Partizipatives Privacy by Design“ widmete sich der Frage, wie Prozesse der Informationstechnik-Gestaltung organisiert werden könnten, die die Strategie des Privacy by Design als gestalterische Devise ernst nehmen, gleichzeitig aber mit Fragen nach der demokratischen Partizipation auf institutioneller, rechtlicher und technischer Ebene verknüpfen. Wie könnte in diesem Sinne das Paradigma des Privacy by Design mit dem Paradigma des Partizipativen Design systematisch verbunden werden? (Der ursprüngliche Beitrag vom 6. Oktober 2016 wurde am 10. November 2016 um das Programm des Workshops und die Vortragsfolien der Redner erweitert.)

06.-07. Oktober 2016
Wissenschaftliches Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG)
Pfannkuchstraße 1, 34121 Kassel, Raum 0420
Universität Kassel



Dokumentation: Partizipatives Privacy by Design (6./7. Oktober 2016)

In der nachfolgenden Dokumentation finden Sie die Präsentationsfolien der Vorträge zum Download.

Eine Bilderstrecke zum Workshop finden Sie auf der Veranstaltungswebseite (Link).

Programm und Präsentationsfolien des Workshops

Donnerstag, 6. Oktober

12:30Ankunft & Kaffee
13:00Eröffnung und Begrüßung
Carsten Ochs, ITEG, Universität Kassel
13:30Das Demokratie-Verständnis der Verfassung - mit besonderem Blick auf Fragen der Technikgestaltung (Präsentation)
Alexander Roßnagel, ITEG, Universität Kassel
14:00Kurze Kaffeepause
14:15Panel: Normative Grundlagen
Moderation: Christian Geminn
ITEG, Universität Kassel

Informationelle Selbstbestimmung & Demokratie (Präsentation)
Max Winter, Universität Jena

Demokratie und Privatheit in Mensch-Technik-Ensembles (Präsentation)
Jessica Heesen, Universität Tübingen

Rechtliche Möglichkeiten der Partizipation bei der Technikgestaltung (Präsentation)
Philipp Richter, ITEG, Universität Kassel
16:00Pause
16:30Keynote: Informatik als Gestaltung von Gesellschaft (Präsentation)
Ingo Schulz-Schaeffer, TU Berlin
17:15UX - User Experience Design als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine
Kai Reinhard, Geschäftsführer Micromata GmbH
17:45Abschlussdiskussion

Freitag, 7. Oktober 2016

9:00Keynote: Privacy by Participatory Design. Erfahrungen bei der Entwicklung einer Nachbarschaftsplattform mit älteren Menschen. (Präsentation)
Susanne Maaß, Universität Bremen
10:00Kurze Kaffeepause
10:15Panel: Design via Praktiken
Moderation: Markus Uhlmann
ITEG, Universität Kassel

Workarounds und Aneignung auf Social Network Sites. Demokratisches Potenzial oder Dysfunktion? Die interaktive Sphäre auf Facebook. (Präsentation)
Petra Ilyes / Laure Kocksch, Universiät Frankfurt/M.

Kulturelle Praktiken der Anonymität: Diskriminierungsschutz, soziale Gleichheit und Anti-Celebrity-Ethik (Präsentation)
Paula Helm, Universität Frankfurt/M.

Usable Privacy by Design? (Präsentation)
Melanie Volkamer, Universität Karlstadt
12:00Mittagspause
13:15Panel: Systemdesign
Moderation: Ali Sunyaev
ITEG, Universität Kassel

Dezentralisierung und Emanzipation durch Open-Source-Software-projekte? (Präsentation)
Jan-Felix Schrape, Universität Stuttgart

Chancen der Partizipation im Software Engineering (Präsentation)
Andreas Poller / Sven Türpe, Fraunhofer SIT

Rechtliche Regulierung zwischen System- und Selbstdatenschutz (Präsentation)
Johannes Eichenhofer, Universität Bielefeld
15:00Pause
15:30Partizipation, Deliberation, Repräsentation: Wie wird Privatheit demokratisch geschützt? (Präsentation)
Jörn Lamla, ITEG, Universität Kassel
16:00Abschlussdiskussion

06.-07. Oktober 2016
Wissenschaftliches Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG)
Pfannkuchstraße 1, 34121 Kassel, Raum 0420
Universität Kassel


Um Anmeldung wird gebeten: 

bis: 15. August 2016 

an: iteg@uni-kassel.de

Der Status der für moderne Gesellschaften zentralen Unterscheidung öffentlich/privat gilt seit einigen Jahren als „digital erschüttert.“ Eine im Bereich der interdisziplinär informierten Informatik entwickelte Antwort auf die Problematik besteht in der Privacy by Design-Strategie.1 Diese operiert mehr oder weniger ausdrücklich mit der Annahme, dass Sozialität mit technischen Mitteln konstituiert wird. Konkret folgt sie der Prämisse, dass der altehrwürdige Ordnungsmechanismus ‚öffentlich/privat‘ digitalen Informationssystemen soziotechnisch eingebaut werden kann.

Die sozialwissenschaftliche Wissenschafts- und Technikforschung dürfte mit der zugrunde liegenden Sichtweise zumindest dahingehend wenig Schwierigkeiten haben, dass schon seit geraumer Zeit die technisch-materielle Bauweise von Sozialität als ausgemacht gilt (der englischsprachige Klassiker hierzu das von Bijker/Law 1992 editierte „Shaping Technology / Building Society“; für einschlägige deutschsprachige Behandlungen des Themas s. z.B. Schulz-Schaeffer 2000; Rammert 2011).

Was in die eine Richtung (technische Formung des Sozialen) gilt, gilt allerdings auch in die andere: Technik wird immer auch sozial geformt („Social Construction of Technological Systems“, vgl. Bijker/Hughes/Pinch 1987); und die Art und Weise, in der das geschieht, ist von weitreichender politischer Bedeutung. Pointiert ausgedrückt: Wer an der sozialen Formung von Technik mitwirkt, entscheidet gleichzeitig mit darüber, wie Gesellschaft gebaut ist.

Damit ist schon angedeutet, dass die Frage nach dem Privacy by Design sich gleichermaßen und gleichzeitig auf technische (Systeme), rechtliche (Normen) und institutionelle (Praktiken) Gestaltungsdimensionen erstreckt, und dabei immer politische Qualität aufweist. Indessen fördert schon der oberflächliche Blick auf den technischen Bau von Gesellschaft, jedenfalls sofern der derzeit massiv destabilisierte Ordnungsmechanismus der Privatheit betroffen ist, massive, undemokratische Macht-Asymmetrien zutage.

Um ein prominentes Beispiel zu nennen: Wenn Online Social Network-Betreiber die „aktuell sozial geltende Norm des sharing“ gegen angemessenes Privacy by Design der von ihnen betriebenen Informationssysteme ins Feld führen, dann werden damit normative Vorstellungen davon, wie die Unterscheidung öffentlich/privat in die Informationssysteme eingebaut werden soll sowohl semiotisch (d.h. hier: diskursiv) als auch materiell (d.h. hier: in die Infrastruktur eingebaut) performativ hervorgebracht.

Wenn Prozesse der Technikgestaltung solchermaßen stets ‚unter der Hand‘ und jenseits kollektiver Aushandlungsprozesse neue Fakten zu generieren drohen, werden nicht nur demokratische Legitimationsdefizite deutlich. Vielmehr bleibt auch weitgehend fraglich, inwiefern eine Technikgestaltung, die von vornherein von bestimmten Annahmen über Privatheit angetrieben wird, deren soziotechnischer Komplexität überhaupt problemangemessen Rechnung tragen kann.

Wie könnten nun demgegenüber Prozesse der Informationstechnik-Gestaltung organisiert werden, die die Strategie des Privacy by Design als gestalterische Devise ernst nehmen, gleichzeitig aber mit Fragen nach der demokratischen Partizipation auf institutioneller, rechtlicher und technischer Ebene verknüpfen? Wie könnte in diesem Sinne das Paradigma des Privacy by Design mit dem Paradigma des Partizipativen Design (vgl. Ehn 1988) systematisch verbunden werden? Will man diesen Fragen nachgehen, so ist ein interdisziplinäres Vorgehen offenkundig unerlässlich.

Der Workshop ‚Partizipatives Privacy by Design‘ stellt folgerichtig den Versuch dar, die Herausforderungen und Potentiale eines ‚Partizipativen Privacy by Design‘-Konzeptes aus technischer, rechtlicher und gesellschaftlich-institutioneller Perspektive in den Blick zu nehmen. Zu diesem Zweck sollen sozial- (Anthropologie, Soziologie, Sozialphilosophie, Rechtswissenschaften etc.) und technikwissenschaftlich (Informatik, HCI-Forschung, Usability Studies) orientierte Forschungen miteinander ins Gespräch gebracht werden, um zum einen die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Gestaltung soziotechnischer Systeme und Institutionen, der Konstitution soziotechnischer Praktiken sowie der Prägung soziotechnischen Normen auszuloten; und um zum anderen Vorstellungen, Konzeptionen und emanzipatorische Potentiale von Partizipation interdisziplinär zu diskutieren.