Online-Jahreskonferenz 2020: „Selbstbestimmung und Privatheit – Gestaltungsoptionen für einen europäischen Weg“, 12. / 13. November 2020
Moderation: Dr. Uwe Jean Heuser, Leiter Wirtschaftsressort „DIE ZEIT“
Regulative, soziale, technische und ökonomische Perspektiven für selbstbestimmtes Leben und Privatheit im digitalen Wandel der Gesellschaft
Digitalisierung stößt umfassende Wandlungsprozesse auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Ebene an. Übergreifend sind es vor allem fünf miteinander verschränkte, technologiegetriebene Trends, welche die tiefgreifenden soziotechnischen Transformationsprozesse vorantreiben: Die Allgegenwart von Smartphones als dominierende Endgeräte der Informations- und Kommunikationstechnik, die Ausbreitung des Internet of Things, die Plattformökonomie, die Verbreitung von Social Networks und Fortschritte im Bereich Künstlicher Intelligenz.
Diese Trends durchdringen alle Lebensbereiche. Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen entstehen Spannungen zwischen Erwartungen an den technologischen Fortschritt und einer sich wandelnden Kultur von Privatheit und Öffentlichkeit. Längst haben wir es nicht mehr mit einer isolierten Neuerung mit begrenzten und prognostizierbaren Wirkungen zu tun. Digitalisierung hat mittlerweile sozio-technische Infrastrukturen (Netze, Kommunikationsräume, Arbeitsorganisation, rechtliche Regelung usw.) hervorgebracht, ohne die der Alltag kaum noch zu bewältigen ist und die so zum Rückgrat unserer modernen Gesellschaft geworden sind. Heute sind wir am Übergang zu einer Phase, in der diese Entwicklungen globale Auswirkungen haben, indem sie zur Grundlage der vorherrschenden Wirtschaftsweise werden und bisherige Werte in Frage stellen. Die konkreten Wirkungen sind breit gestreut und bringen dabei zahlreiche neue Möglichkeiten hervor: digitale Technologien ermöglichen Individuen neue Formen der Mitbestimmung und der verteilten Kommunikation, digitale Medien erlauben den orts- und zeitunabhängigen Zugriff auf weltweite Inhalte, und digitale Helfer unterstützen zahlreiche Routine-Tätigkeiten und geben Individuen ein Mehr an Informationen und Kontrolle, bspw. über die eigene Gesundheit. Auf der anderen Seite gehen mit der zunehmenden Digitalisierung aber auch Fehlentwicklungen und Unsicherheit auf Seiten der Nutzer*innen einher: digitale Plattformen machen aus Arbeitnehmenden (häufig prekär beschäftigte) „Unternehmer“, klassische Medienöffentlichkeiten drohen von zahlreichen Echokammern überlagert zu werden, Schulen und Krankenhäuser entwickeln sich zu Reallaboren für neue Überwachungstechnologien. Dies alles wird verbunden mit dem Versprechen einer besseren Steuerbarkeit von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einerseits, während andererseits zur Realisierung des Versprechens großräumig Mechanismen der Verhaltenssteuerung eingesetzt werden, auf deren Wirkungsweise und Ziele der oder die Einzelne noch die Öffentlichkeit kaum Einfluss nehmen kann (vgl. Zuboff 2018). Dies hat Auswirkungen auf die Freiheitsrechte von Individuen im gesamten Lebensverlauf, darunter aber besonders für vulnerable Gruppen wie Menschen mit Beeinträchtigungen oder Kinder, die nicht über alle Fähigkeiten verfügen, um sich selbst zu schützen.
Angesichts der Fülle an Herausforderungen in Folge der genannten Entwicklungen verfolgen die Europäische Union und Deutschland einen sog. „dritten“ bzw. „europäischen Weg“ , der eine gemeinwohlorientierte Technikentwickung europäischer Prägung voran bringen möchte. Dieser Ansatz versteht sich als Alternative zu einem rein profitorientierten Digitalkapitalismus weltweit dominanter IT-Firmen und dem totalitären Digitalautoritarismus chinesischer Spielart. Stattdessen soll die Idee eines freien Digitalmarktes mit demokratischen Werten und Grundrechten in Einklang gebracht werden, sodass die Potenziale erhalten bleiben, während nachteilige Auswirkungen reduziert werden. Nicht nur die Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung, auch die weiteren Debatten in diesem Zusammenhang spiegeln diese Entwicklung wider: Darunter fallen die Daten- sowie die Blockchain-Strategie der Bundesregierung, die Empfehlungen der Datenethikkommission, ambitionierte Großprojekte wie GAIA-X, aber auch Bestrebungen der EU hinsichtlich einer Europäischen Datenstrategie oder zur Plattformregulierung. Im Bereich der Wissenschaft finden sich zudem zahlreiche Forschungsunternehmungen, die sich der Frage nach dem Status robuster demokratischer Formen der Öffentlichkeit und der Privatheit, der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung, der Gewährleistung fairer Arbeitsbedingungen und des Gemeinwohls, der gesellschaftlichen Integration und der Gewährleistung weiterer Werte unter den Bedingungen der digitalen Gesellschaft widmen. Gleichzeitig sind digitale Problemlagen Dauerthema der Feuilletons und beschäftigen auch Kunst und Literatur in hohem Maße. Die Diskussion über Daten und Selbstbestimmung hat folglich mittlerweile einen festen Platz im politischen und gesellschaftlichen Diskurs eingenommen.
Das Forum Privatheit greift diese Themen nun aktuell mit seiner nunmehr siebenjährigen Expertise zu datenpolitischen Entwicklungen (darunter die kritische Begleitung des NSA-Überwachungsskandals und des Cambridge Analytica-Facebook-Datenskandals in den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, die Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung, u.v.m.) mit dem Bestreben auf, Anregungen für Gestaltungsperspektiven zu liefern. Ausgehend von technischen, juristischen, ökonomischen sowie geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen stehen dabei die (Neu-)Bestimmung und Gewährleistung informationeller Selbstbestimmung und des Privaten in der digitalen Welt im Vordergrund. Im Rahmen der Jahreskonferenz 2020 sollen Forschungsergebnisse des „Forum Privatheit“ und die vielfältigen Beiträge verwandter wissenschaftlicher (multidisziplinärer) und praktischer (regulatorischer, gestalterischer, datenschützerischer) Bemühungen mit Blick auf das Transformationspotenzial der Digitalisierung und der Rolle von Privatheit und Datenschutz diskutiert werden. Nachdem die bisherigen Konferenzen sich den Themen „Zukunft der informationellen Selbstbestimmung“ (2015), „Fortentwicklung des Datenschutzes“ (2017), „Zukunft der Datenökonomie“ (2018) und „Datenschutz in Schule und Kinderzimmer“ (2019) widmeten, soll bei dieser Jahreskonferenz der Aspekt der Gestaltung im Vordergrund stehen.
Daher lautet die handlungsleitende Fragestellung der diesjährigen Tagung: „Welche Gestaltungsoptionen sind geeignet, um Selbstbestimmung und Privatheit auch im Digitalzeitalter zu gewährleisten?“
Tagungsband Open Access
Der Tagungsband “Selbstbestimmung, Privatheit und Datenschutz: Gestaltungsoptionen für einen europäischen Weg” ist nun bei Springer in Open Access verfügbar.
Vorträge
Hier können Sie die Folien und Videoaufzeichnungen der Vorträge herunterladen. Klicken Sie hierzu auf die entsprechenden Symbole für die Folien oder Videoaufzeichnungen.
Keynote-Sprecherinnen
![]() | Lorrie CranorCarnegie Mellon University (Pittsburg) FORE Systems Professor, Engineering & Public Policy, and School of Computer Science |
![]() | Judith SimonUni Hamburg Professor for Ethics in Information Technology |
![]() | Aline BlankertzStiftung Neue Verantwortung Projektleiterin "Datenökonomie" |
Programmheft
Das Programmheft können Sie hier herunterladen:
Programmkomitee
Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Universität Kassel (Tagungsleitung)
Prof. Dr. Michael Waidner, Fraunhofer SIT | TU Darmstadt (Tagungsleitung)
Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn, IZEW | Eberhard Karls Universität Tübingen
Dr. Michael Friedewald, Fraunhofer ISI
Dipl.-Inform. Marit Hansen, ULD
PD Dr. Jessica Heesen, IZEW | Eberhard Karls Universität Tübingen
Prof. Dr. Thomas Hess, LMU München
Prof. Dr. Nicole Krämer, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Jörn Lamla, Universität Kassel
Prof. Dr. Christian Matt, Universität Bern | LMU München
Presse und Kommunikation
Barbara Ferrarese, Forum Privatheit
Tel.: +49 721 6809-678
E-Mail: presse@forum-privatheit.de
Organisation
Johanna Mittermeier, Fraunhofer SIT
Telefon +49 6151 869-512
E-Mail: jahreskonferenz-forum-privatheit@sit.fraunhofer.de
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