Warum wir einen europäischen Weg der Digitalisierung brauchen – und welche Chancen das birgt
Forum Privatheit veranstaltet Online-Konferenz: Selbstbestimmung und Privatheit – Gestaltungsoptionen für einen europäischen Weg
Stärker denn je führt uns die Corona-Pandemie vor Augen, dass wir eine gemeinsame europäische Antwort auf grenzüberschreitende Herausforderungen brauchen. Dies gilt auch für die Gestaltung von Digitalisierung, die uns in der Krise hilft und unverzichtbar ist – und gerade deshalb nach demokratischen Werten und Prinzipien gestaltet werden sollte. Über die Perspektiven einer gemeinwohlorientierten Technikentwicklung europäischer Prägung diskutieren Expertinnen und Experten am 12./13. November auf der Jahreskonferenz des Forum Privatheit.
„Im Bereich Digitalisierung können wir derzeit drei globale Entwicklungswege erkennen“, so Alexander Roßnagel, Sprecher des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“. „Zum einen gibt es den libertären US-amerikanischen Weg mit weltweit agierenden Plattformen wie Google, Facebook und Amazon. Diese bieten den Nutzer*innen Inhaltssuche, Kommunikation und Verkaufsprozesse vermeintlich kostenlos an, nutzen dabei jedoch alle erreichbaren Daten der Nutzer*innen, aber auch von Nichtnutzer*innen, für ihre Gewinninteressen. Durch das Erfassen personenbezogener Daten können sehr detaillierte Persönlichkeitsprofile erstellt werden, die dazu dienen, die erfassten Personen zu bewerten und zu steuern.“ Als zweites Entwicklungsmodell macht der Technikrechtsexperte der Uni Kassel die staatlich geplante und kontrollierte Digitalisierung chinesischer Prägung aus. Dieser beinhalte eine lückenlose Überwachung der Bevölkerung und kenne keinen Datenschutz im eigentlichen Sinne. Roßnagel plädiert für einen dritten, europäischen Weg, der durch die europäische Grundrechtecharta und die Datenschutz-Grundverordnung vorgezeichnet sei. Dieser Weg stellt die Würde und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt, extensives und unbegrenztes Sammeln personenbezogener Daten sollte nicht erlaubt sein. Jurist Roßnagel fordert: „Personenbezogene Datenverarbeitung darf es nur unter Berücksichtigung dieser Werte geben.“
Chancen für die europäische Wirtschaft
Über Werte und Wettbewerbspolitik spricht Aline Blankertz am 12. November von 10.30 bis 11.15 Uhr: „Eine Kontrolle des Wettbewerbs, der auch die Auswirkungen auf die Privatsphäre berücksichtigt, kann helfen, die Innovationskraft der Digitalisierung stärker in gesellschaftlich wünschenswerte Bahnen zu lenken. Es wird oft befürchtet, dass Regulierung Innovation bremse. Doch sie kann auch die Werte abstecken, die Innovation fördert.“ Aline Blankertz leitet das Projekt „Datenökonomie“ der Stiftung Neue Verantwortung, einem unabhängigen Think Tank an der Schnittstelle zwischen Technologie und Gesellschaft.
Chancen für einen selbstbestimmten Umgang mit Daten
Lorrie Cranor erläutert am 12. November von 15.20 bis 16.05 Uhr aus US-amerikanischer Sicht, was es braucht, um unsere Privatsphäre gegen die datenerhebenden Interessen großer Unternehmen oder Staaten durchzusetzen: „Ich denke, dass wir in einer Welt, in der wir alle immer mehr digitale Geräte nutzen, die Daten sammeln, zunehmend auf automatisierte Werkzeuge, die Datenschutz implementieren, angewiesen sein werden. Menschen haben im Alltag einfach nicht die Zeit, jede einzelne Datenschutzerklärung zu lesen und dann zu entscheiden, wie ihre Daten in jedem Einzelfall gesammelt und verwendet werden könnten. Wir benötigen Systeme, die den Datenschutz in Geräten und Diensten der Nutzer*innen automatisiert überprüfen – und es gleichzeitig auch den Nutzer*innen ermöglichen, die Bedingungen für ihre Datennutzung selbst festzulegen.“ Lorrie Cranor lehrt Informatik an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.
Chancen für einen freien Digitalmarkt mit demokratischen Werten
Über Künstliche Intelligenz, Privatheit und Gerechtigkeit spricht Judith Simon am 13. November von 10.30 bis 11.15 Uhr: „Um einen freien Digitalmarkt mit demokratischen Werten und Grundrechten in Einklang zu bringen, braucht es ein Zusammenspiel vieler Akteure und Institutionen. Neben der Technikgestaltung im engen Sinne bedarf es einer Kombination von Gesetzgebung, Selbstverpflichtungen, Investitionen in Forschung und Bildung sowie einer Veränderung der zugrundeliegenden Geschäftsmodelle.“ Sie ist Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg und Mitglied des Deutschen Ethikrats.
Chancen für die Weiterentwicklung des Datenschutzrechts
„KI wird künftig ermöglichen, dass Automaten immer mehr für, aber auch über uns entscheiden: Wir werden in den meisten Berufen mit intelligenten Assistenten zusammenarbeiten, die uns immer wieder Entscheidungsvorschläge vorlegen, aber uns auch von Routineentscheidungen befreien, indem sie diese selbst vornehmen“, so der Jurist Roßnagel, der den Vortragsblock Gesellschaftliche Fragen des Datenschutzes am 13. November von 13.00 bis 14 Uhr moderiert. „Allerdings werden wir ihr gegenüber auf informationelle Selbstbestimmung und individuelle Freiheitsausübung verzichten müssen, wenn es uns nicht gelingt, ihre Ziele und ihre Kriterien zu bestimmen – und auch zu kontrollieren, in wessen Interesse sie tätig wird. Für diese Aufgaben muss das Datenschutzrecht weiterentwickelt werden.“
Chancen für eine gemeinwohlorientierte Technikentwicklung
Auch aus Sicht von Dr. Michael Friedewald, Moderator des Vortragsblocks Datenökonomie und Privatheit am 12. November von 11.20 bis 12.20 Uhr, ist die massenhafte Datenverarbeitung ein prägendes Merkmal sowohl unseres Wirtschaftens als auch unseres gesellschaftlichen Miteinanders geworden: „Deshalb kann man weder die Analyse noch die Gestaltung von Digitalisierung und Datenschutz einer einzelnen Disziplin überlassen. Datenschutz ist kein rein juristisches Thema, ebenso wenig sollte die Gestaltung von IT-Systemen allein auf einer reinen Ingenieurs- oder Geschäftslogik basieren. Erst durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven kann es uns gelingen, gemeinwohlorientierte Technikentwicklung zu betreiben“, fasst der Koordinator des interdisziplinären Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ das Anliegen der Jahreskonferenz zusammen.
Weitere Themen der Jahreskonferenz
- Datenökonomie und Privatheit
- Der Wert des Privaten
- Nutzer und Datensouveränität / User Empowerment
- Digitales Lernen und Privatheit
- Usability und Datenschutz
- Anonymisierung
- Soziale Teilhabe
- Datenschutz in der Strafverfolgung
- Datenschutz und Netzpolitik (Künstliche Intelligenz)
- Gesellschaftliche Fragen des Datenschutzes
Im Anschluss an die Vorträge ist es möglich, Fragen zu stellen und mit den Vortragenden zu diskutieren. Presseanfragen bitte an: barbara.ferrarese@forum-privatheit.de